In der ersten Strophe werden die Weichen für einen erfolgreichen Song gestellt. Hierbei können geniale Schachzüge oder Riesenfehler passieren. Die Gründer von dererfolgreichemusiker.com und Songwriting-coach.de diskutieren in diesem Interview darüber, worauf du als Liedtexter und Komponist achten solltest, damit du alles richtig machst!
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Fabian: Ich muss gleich zum Einstieg mal sagen, dass ich davon überzeugt bin, dass die meisten Musiker in genau diesem Song-Part die meisten Fehler machen.
Emi: Uff, na du gehst es gleich mal mit der Brechstange an. Ich bin aber bei dir. Von der ersten Strophe hängt in Songs unheimlich viel ab. Ich habe deshalb in meinem Buch Rock dein Leben eine Definition für diesen Song-Part geschrieben. Was sagst du dazu?
Die Funktion der ersten Strophe
“Jener Teil eines Songs, in dem wesentliche Akteure, Beziehungen, Beweggründe ihres Handelns, sowie der zeitliche, der örtliche und der perspektivische Rahmen festgelegt wird.”
Fabian: Wiedermal am Punkt.
Emi: Danke! Was wir den Lesern dieses Interviews aber bieten wollen, sind keine kurzen Definitionen, sondern eine vielseitige Diskussion, die versierte Einblicke gibt. Gerade bei der ersten Strophe gibt es da viel zu sagen.
“Beim Schreiben der ersten Strophe passieren die meisten Fehler”, sagt Fabian im Interview
Fabian: Genau! Die Schwierigkeit liegt nämlich darin, dass du beim Schreiben dieses Song-Teils derart viele Entscheidungen treffen musst. Oft werden diese Entscheidungen von Songwritern aber nicht bewusst getroffen, sondern sie “passieren”. Tja und dann wundern sich viele, warum Ihr Lied im Endeffekt nicht aufgeht.
Emi: Kann man die erste Strophe einfach drauf losschreiben? Oder braucht man da bereits zu Beginn ein gutes Konzept? Wie siehst du das?
Fabian: Das ist vermutlich ein bisschen Geschmacksfrage. Ich bin eigentlich von beidem ein Fan. Wenn du einfach drauf losschreibst, kann immer auch etwas Gutes dabei rauskommen. Spontanität kann helfen, Barrieren zu durchbrechen.
Grundsätzlich bin ich aber ein eher strukturierter Typ. Mir hilft es mich zu fokussieren, wenn ich mir bereits im Vorfeld Gedanken zu möglichen Songverläufen gemacht habe.
Wenn jemand aber einfach drauf losschreiben möchte, rate ich grundsätzlich dazu, an einem bestimmten Moment wieder einen Schritt zurück zu machen und das Lied als Ganzes zu betrachten.
Vielen Writern passiert ansonsten, dass sie sich in der ersten Strophe komplett verlieren und bereits alles sagen, wofür sie eigentlich im gesamten restlichen Lied Zeit gehabt hätten. Das kann sinnvolle Geschichte- und Entwicklungsbögen völlig zerstören.
Im worst-case-Scenario verpacken unvorsichtige Songschreiber nicht nur die gesamte Geschichte, sondern nehmen auch bereits die komplette Dramaturgie vorweg. Das führt natürlich zu nichts.
Emi: Auch ich bin ein Fan von Sparsamkeit in der ersten Strophe. In diesem Teil wird das textliche Element erstmals im Lied eingeführt. Im Intro kommt das oft nicht, oder nur spärlich vor.
Genau deshalb brauchen die Zuhörer genau hier Zeit, um das Gesagte erstmals zu verarbeiten und einzuordnen. Wer sein Publikum zu diesem Zeitpunkt mit zu viel Input überschwemmt, legt sich selbst ein Ei.
Der Songwriter ist, im Sinne seines Songs, dem Zuhörer gedanklich üblicherweise voraus. Er kennt das Lied bereits in vielen Facetten, hat sich stunden- oder tagelang mit den einzelnen Textpassagen auseinandergesetzt und neigt deshalb oft dazu, mehr Inhalt als nötig in den Text der ersten Strophe zu packen. Dem Zuhörer fehlt natürlich noch der umfassende Kontext, wenn er ein Lied hört. Der braucht erstmal Zeit.
Fabian: Wenn du schon vom Reduzieren sprichst:
Erste Strophe schreiben: Was muss textlich passieren?
Emi: Es ist wichtig, dem Zuhörer erstmal einen Überblick über das Gegebene zu geben. Vereinfacht könnte man sagen, dass versucht werden sollte, ein paar der großen W’s zu definieren:
Wer, Was, Wo, Wie, Wann und Warum
Diese W’s müssen nicht umfassend und nicht ausführlich beschrieben werden, aber der Text sollte die Möglichkeit zu einer ersten Orientierung über Akteure, die Örtlichkeiten, die Situation und die Welt bieten.
Pro-Tipp: Die erste Strophe bietet das textliche Fundament des Songs
Der gesamte nachfolgende Text baut auf den Inhalten der ersten Strophe auf. Es ist daher umso wichtiger, diese Inhalte behutsam und exakt zu wählen!
Wenn ich als Eröffnungssatz in einem Song folgendes schreibe, sage ich bereits recht viel: “A little boy writes a letter in his classroom.” In dieser Opening-Line sind bereits das WER, das WAS und das WO definiert. Üblicherweise ist derartiges ein guter Start in die erste Strophe.
Die Fragen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärt wurden, wie die große Frage nach dem Warum, können im weiteren Songverlauf geklärt werden.
Wichtig ist zu verstehen, dass am erst einmal Geschriebenen nicht mehr gerüttelt werden kann. Was du schreibst, definiert die Welt im Song. Alles was du stattdessen nicht schreibst, zählt zu dem Potential, in das sich der Song noch entwickeln kann.
Deshalb ist die erste Strophe so mächtig und gleichzeitig ein stark unterschätzter Moment im Song.
WICHTIG: Der erste und der letzte Satz
Fabian: Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt in der ersten Strophe ist die Wichtigkeit des ersten und des letzten Satzes.
Emi: Uuh. Ja, genau!
Fabian: Alleine durch ihre Platzierung haben sie eine besondere Signifikanz. Der erste Satz ist sozusagen das Opening-Statement, dem naturgemäß viel Aufmerksamkeit zukommt. Der Künstler Kummer hat bei seinen Songs üblicherweise starke erste Sätze in Verwendung.
Enthält alle erwähnten Lieder aus der zehnteiligen Diskussionsreihe rund um die Song-Parts
Der letzte Satz in der ersten Strophe ist dagegen deshalb von Bedeutung, weil in ihm die Möglichkeit steckt, einen besonderen Twist in das zuvor Gesagte einzubauen. Außerdem ist der letzte Satz bereits als Überleitung zum nächsten Song-Teil zu sehen, etwa zum Pre-Chorus oder zum Refrain.
Sie liegen falsch, wenn sie sagen, dass das immer ein zuverlässiges Rezept für einen guten Songstart ist. Manche Lieder brauchen aber mehr Zeit, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers einzufangen. Die brauchen dann vielleicht ein eher klassischeres Intro.
Der Künstler Kummer hat viele starke erste Sätze im Repertoire. Bei den Liedern Der Rest meines Lebens und bei Wieviel ist dein Outfit wert, haut er richtig krass raus. Die Sätze sind so stark, dass man instinktiv zustimmt oder widerspricht, jedenfalls aber wissen möchte, wie es weitergeht.
Bei Herz über Kopf von Joris geht es darum, dass sich zwei Personen treffen, die sich eine Zeit lang nicht gesehen haben. Erst mit dem letzten Satz in der ersten Strophe kommt ein Gefühl von “Unsicherheit” in diese Begegnung hinein. Genau an diesem Moment entsteht dann im Zuhörer das Bedürfnis, noch mehr zu hören.
Emi: Sind der erste und der letzte Satz wirklich so signifikant?
Fabian: Naja, es liegt einfach an der Platzierung dieser Sätze. Ein Opener oder ein Abschluss sind einfach immer wichtig.
Emi: Ich habe im Kopf, dass auch Bon Jovi einen sehr großen Wert auf den ersten Satz legt. Im Song It’s my life lautet die erste Zeile: “This ain’t a song, for the broken hearted.”
Fabian: Krass. Da will man gleich wissen, für wen der Song dann eigentlich da ist.
Emi: Genau. Der erste Satz in der ersten Strophe ist ja auch häufig die erste Berührung des Zuhörers mit dem Text insgesamt. Dabei entsteht der wichtige erste Eindruck und das erste textliche Fundament, auf dem alles aufbaut.
Einer der größten Fehler
Viele begehen den Fehler, dass sie einfach zu viel Text in der ersten Strophe verwenden. Da wird dann nicht nur ein szenischer Überblick gegeben, sondern wirklich jedes einzelne Detail beschrieben. Das ist zu diesem Zeitpunkt aber oft gar nicht nötig.
Fabian: Das stimmt.
Emi: Ich finde auch, dass der Writer dem Zuhörer etwas nimmt, wenn er zu viele Details preisgibt. Damit wird die gesamte Imagination zerstört. Der Zuhörer will aber interpretieren. Er möchte sich mit Songs identifizieren und dazu muss er die Möglichkeit bekommen, sich Texte in seiner eigenen Welt vorzustellen.
Fabian: Ich glaube, dass der Fehler, zu viel Text zu schreiben, häufig dann passiert, wenn es noch keinen Bezug zur Musik des Liedes an sich gibt. Wer zum Beispiel mit dem Text anfängt, der hat noch keine natürlichen Grenzen, die häufig durch die Musik eingezogen werden.
Emi: Voll interessant. Das stimmt. Häufig blenden Texter aus, dass der Text nur ein komplementäres Element ist. Das zweite komplementäre Element ist die Musik und wenn die anfangs noch fehlt, kann textlich sicherlich schnell zu viel des Guten passieren.
Ich finde, dass der Text und die Musik immer eine Balance brauchen. Wer viel textet und dafür sorgt, dass die Musik auch noch komplex ist, der übertreibt. Es muss immer noch ein eindeutiger Fokus hörbar sein.
Emi: Als Beispiel dafür könnte ich Without me von Eminem nennen. Die Nummer hat super viel Text und die gleichzeitig erklingende Musik besteht nur aus einem einzigen Akkord.
Insgesamt gibt es im Rap weniger Fokus auf komplexe musikalische Elemente, weil der Fokus der Zuhörer ja nicht dorthin soll. Der soll nämlich auf den Text.
Fabian: Du hast vollkommen recht.
Emi: Ein weiteres Beispiel, dass den umgekehrten Punkt gut illustriert, wäre der Jazz Standard Sweet Lorraine. Das ist eine langsam gesungene Ballade, demnach mit recht wenig Text. Die Harmonien schreiten aber mit den Viertelnoten und damit sehr schnell voran.
Durch die Balance zwischen Text und Musik ist es auch hier dem Zuhörer gut möglich, beides zu verfolgen. Ein wunderschönes Lied. Mein Tipp, was die textliche Dichte angeht, wäre, immer eher zu einer Reduktion zu tendieren, als zu viel auf einmal zu wollen.
Textlicher Input muss einfach erst verarbeitet werden. Selbst dann, wenn es sich um einfache Texte hält.
Muss die erste Strophe bereits eng mit dem Rest zusammenhängen?
Fabian: Ja und nein.(lacht)
Ich selbst gehe immer sehr strukturiert an einen Song ran. Ich überlege mir üblicherweise bereits im Vorfeld den ungefähren Ablauf des Liedes, aber es ist immer ein dynamischer Prozess. Manchmal merke ich trotz meines Planes, dass ich mich irgendwo verrenne und dann muss ich eben nochmals umplanen.
Es gibt beim Liedschreiben zwei unterschiedliche “Denksysteme”:
- ✅ Kreatives Schreiben:
Hierbei lasse ich meinen Gedanken freien Lauf und achte überhaupt nicht auf sinnvolle Verbindungen zwischen den Lied-Teilen. Es geht eher darum, interessante Ideen zu entwickeln, die für sich selbst sprechen, die die Gedanken frei machen und dir helfen können, über den Tellerrand zu schauen - ✅ Strukturiertes Schreiben:
Diese Art zu texten ist das Entwickeln des großen Ganzen. Hier wird darauf geachtet, dass die verschiedenen kreativen Outputs schlüssig ineinanderfließen. Der Spannungsbogen wird erstellt und das energetische Level wird konzipiert und umgesetzt.
Beide Arten zu schreiben sind wichtig, weil nur so sichergestellt ist, dass sowohl ein kreativer- als auch ein überlegter Ablauf im Song stattfindet. Oftmals kann man diese Stile auch nicht isoliert betrachten, sondern sie wechseln einander fließend ab.
3 Möglichkeiten: So kannst du die erste Strophe schreiben
Emi: Uh, interessant! Spielen wir doch mal ein Beispiel durch. Angenommen wir möchten einen Song über unsere Freundschaft schreiben. Die Freundschaft ist wertvoll, aber die Freunde wohnen weit voneinander entfernt. Der Titel lautet “A distant friendship”. Wie gehst du so einen Song in der ersten Strophe an?
Fabian: Hier würde ich mich auf die von mir entwickelten Song-Blueprints berufen. Lieder folgen üblicherweise einem roten Faden, der sich auf eines der nachfolgenden drei Themen bezieht:
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1.Gefühl
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2.Situation
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3.Problem
Die erste Strophe dient erst einmal dazu, das Gefühl, die Situation oder das Problem zu beschreiben. In der zweiten Strophe ist dann ein ganz anderer Aspekt relevant, da geht es nämlich um die Dramaturgie. Dazu kommen wir aber noch.
Hier gilt es dann die Entscheidung zu treffen, wie der beispielhafte Song “A distant friendship” aufgebaut sein soll. Will man dabei also das Gefühl der Freundschaft beschreiben, eher die spezifische Situation, oder das Problem?
Die nächste Frage ist, aus welcher Perspektive das Ganze geschrieben werden soll. Geht es um den Songwriter selbst, um die zweite Person “Du” oder wird das ganze von einem allwissenden Erzähler dargestellt?
Emi: Interessant. Jetzt wo wir darüber sprechen, merke ich, dass ich oft einfach mit einem Satz anfange, ohne mir noch zu viele Gedanken zu machen. Mir hilft das, ins Schreiben hineinzukommen.
Fabian: Verstehe ich total. Auch eine Mindmap kann da sehr helfen. Jedenfalls ist es wichtig, einfach mal zu schreiben. Es heißt ja nicht, dass man dann nicht wieder revidieren kann, was man geschrieben hat.
Es kann auch helfen, einfach mal etwas ins Handy hineinsprechen über den Song – einfach die eigenen Gedanken zu artikulieren. Häufig sind dann Worte oder Phrasen dabei, die interessant sind. Genauso findet man mögliche Startpunkte.
Es gehört auch Mut dazu, einfach zu starten. Wenn wir uns ehrlich sind, ist das Meiste, auf das wir Songwriter kommen einfach Müll. Wer selbstkritisch genug ist, muss sich das eingestehen.
Emi: Stimmt. Ich merke auch, dass es viel mit dem eigenen Ego zu tun hat. Sogar mit Hubert Molander, meinem engsten Co-Writer, merke ich, dass ich sogar jetzt, nach unglaublichen Songwriting-Erfolgen im gesamten deutschsprachigen Bereich, noch Angst habe, dass ihm Ideen nicht gefallen.
Früher war das anders. Im Rahmen meiner ersten Band dachte ich tatsächlich, dass jeder neue Song, den wir geschrieben hatten, ein perfekter Superhit war.
Fabian: Es kann helfen, dass man bei der Beurteilung seines eigenen Songwritings, insbesondere bei der Beurteilung der ersten Strophe, hin und wieder einen Schritt zurück macht. Zumindest hin und wieder kann es helfen, seinen textlichen und melodischen Output aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Emi: In der Lektüre gibt es noch weitere Grundsätze bzw. Bausteine für Songs. Der Buchautor Pat Pattinson spricht in seinen Büchern immer wieder davon.
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Attitudinal SongsDas sind Lieder, die eine Haltung oder eine Emotion beschreiben.
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Situational SongsDas sind Songs, die einen bestimmten Moment oder eine Situation beschreiben.
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Storytelling SongsDieder, in denen Zeit vergeht. Das ist in keinem der anderen Song-Arten so.
Fabian: Ja, genau. Wichtig ist, dass man derartige Beschlüsse das Songwriting nicht nur klarer, sondern auch einfacher macht. Wer ständig Song-Grundlagen laufend vermischt, verunsichert auch den Zuhörer.
Emi: Absolut! Ich finde auch, dass ein Song nur eine einzige Idee transportieren kann.
Fabian: YES!
Emi: Zwei Ideen oder Gedanken sind einfach zu viel. Keep it simple!
Fabian: Zum Storytelling-Aspekt habe ich auch noch einen interessanten Gedanken.
Emi: Und zwar?
Fabian: Ich bin der Meinung, dass jeder Song Storytelling-Aspekte beinhaltet.
Emi: Moment. Mein Hirn ist gerade stehengeblieben. Wie meinst du das? (lacht)
Fabian: Eine Geschichte besteht aus einer Figur, einer Zwangslage und einer angestrebten Befreiung. Das hast du eigentlich in jedem Song. Die erste Strophe ist immer das Fundament für die weitere Entwicklung und insofern kann man sagen, dass dieser Song-Teil immer der Start einer Story-Entwicklung ist.
Wie gestalte ich das Reimschema?
Das Reimschema ist die Art und Weise, in welcher geometrischen Art und Weise Reimworte aufeinanderfolgen. Fabian, wie gehst du das an?
Fabian: Für mich hat das sehr viel mit dem erwünschten Energielevel zu tun. Ein Reimschema wie “aabb” bringt immer viel Ruhe hinein. Da tut sich phonetisch nicht sehr viel und das kann genau die Beruhigung bringen, die dein Lied braucht.
Bei einem Reimschema wie “abab” wird etwas mehr offen gelassen. Der Zuhörer muss länger auf die Genugtuung durch phonetische Ähnlichkeiten warten. Das kann das ganze aber auch spannend machen, wenn das vom Songwriter so intendiert ist.
Zugegebenermaßen bin ich gar nicht so ein großer Reim-Fetischist. Ich habe tatsächlich bereits Songs geschrieben, bei denen sich überhaupt nichts gereimt hat.
Beispiel für ein komplexes Reimschema (“Traktorführerschein”)
a Ois wos i wü
a is a Bua mit am Gfüh’
b und an Traktorführerschein
c Wö gonz von allan
c kummt des Hoiz yo ned ham
c und z’fuaß wüß I ned zahn
a Ois wos i wü a
a is a Bua mit am Gfüh’
b und an Traktorführerschein
d Start den Traktor on
d hoi’ di o
d mei Bua i woat scho do
b no bini allein
b doch i loss di rein
b mit am Traktorführerschein
Der Einfluss auf die zweite Strophe
Alles, was in der ersten Strophe definiert wird, hat einen direkten Einfluss auf die zweite Strophe. Da der Zuhörer nach dem ersten Refrain wieder etwas ihm vertrautes hören möchte, werden in der zweiten Strophe viele Grundsätze der ersten Strophe übernommen.
Dadurch hat man in der zweiten Strophe auch viel weniger Freiheit beim Schreiben. Genau das macht die erste Strophe auch so interessant und markant.
Fabian: Absolut. Ich merke in meinen Seminaren, die ich mit songwriting-coach.de gebe, immer wieder, dass Songwritern nach der zweiten Strophe die Kreativität ausgeht. Ich glaube, dass das genau der Grund ist. Das deutlich engere Korsett der zweiten Strophe lässt es nicht mehr zu, vergleichbar frei zu schreiben wie in der ersten Strophe, wo ja anfangs noch gar nichts definiert ist.
Emi: Ich bin sogar davon überzeugt, dass der allerschwierigste Liedteil immer die erste Strophe ist. Mit der Freiheit, die zu Beginn des Schreibprozesses steht, ist es nicht immer leicht umzugehen. Vor allem deshalb, weil jeder Beschluss in der ersten Strophe (Thema, Perspektive, Text, Liedart, etc.) diese Freiheit einschränkt. Wer tut das schon gerne? Wer schränkt Freiheit gerne ein? Also ich nicht.
Fabian: Interessanter Gedanke!
Wie wird die Melodie angelegt?
Emi: Ich starte üblicherweise intuitiv und behalte mir vor, dass ich die Melodie meiner ersten Strophe im Nachhinein noch korrigiere. Nämlich genau dann, wenn ich die Melodie des Refrains erarbeite. Mir ist wichtig, dass diese beiden melodischen Teile einen sinnvollen Bezug zueinander haben.
Die Melodie steht natürlich auch in engem Zusammenhang mit dem Wortfluss. Die gewählten Worte definieren sozusagen die Melodie mit. Nicht jedes Wort einer Zeile ist gleich wichtig!
Wenn ich an den beispielhaften Satz denke: “A little boy writes a letter in his classroom”, dann würde ich drei Worte besonders betonen wollen, nämlich “boy”, “letter” und “classroom”. Ich habe damit grob bereits das “wer”, das “was” und das “wo” betont.
Natürlich kann man das auch anders anlegen, aber die Melodie stünde in jedem Fall in engem Zusammenhang mit den Worten. Da die Rhythmik mit der Melodik eng verknüpft ist, lässt sich das gar nicht vermeiden.
Fabian: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Du sprichst darüber, dass du dir im Sinne der Melodie Gedanken darüber machst, welche Worte du betonen willst. Anders gesagt: Du betonst, was wichtig ist.
Bei Shape of you von Ed Sheeran ist das sehr extrem dargestellt. Er nutzt in dem Lied relativ flotte rhythmische Strukturen und betont am Ende jeder Zeile die für die Textverständlichkeit relevanten Worte.
Emi: Voll interessant. Genau hier kommt natürlich das kreative Element des Songwriters zum Tragen. Unterschiedliche Songwriter betonen natürlich unterschiedliche Silben, weil ihnen unterschiedliche Sachen im Text wichtig sind. Genau das macht die Uniqueness von Writern aus.
Weiter gedacht, kommt man nach der Strophen-Melodie natürlich irgendwann unweigerlich beim Refrain an. Hier ist dann ein erster guter Punkt, um das textlich und melodisch komponierte Revue passieren zu lassen. Gefällt dir wirklich, was du musikalisch entwickelt hast?
Fabian: Ich fange auch eher einfach Mal zu schreiben an. Oft halte ich mich da an interessante Worte, oder ich habe eine Melodie im Ohr und versuche, Worte zu finden, die gut dazu passen.
Beim Refrain ist auch mein Moment für die Rückschau. Dabei konzentriere ich mich vor allem darauf, ob der Refrain im Zusammenhang mit der bisherigen Komposition gut “wirken” kann. Ist der Kontrast zum bisherigen Songverlauf stark genug? Was braucht es, um den Refrain klar hervorzuheben? In diese Richtung gehen meine Gedanken dann am ehesten.
Emi: Kann ich absolut bestätigen.
Fabian: Es gibt da so ein Phänomen im Chorus …
Emi: Welches?
Fabian: Oft doktert man am Chorus ewig herum, verändert die Komposition und nimmt im Demo hunderte Spuren auf, aber die Wirkung des Chorus verbessert sich nicht maßgeblich. Dann dreht man an einem kleinen Rädchen der Strophen-Komposition und plötzlich geht alles im Refrain auf.
Emi: Stimmt! Das kenne ich auch. Die Wirkung des Chorus ist eben nicht nur vom Chorus selbst abhängig. Insofern wäre die Vorbereitende Wirkung des Chorus auch eine der Hauptaufgaben der ersten Strophe.
Wie einfach oder anspruchsvoll sollte das sein?
Fabian: Ich denke im Rahmen der ersten Strophe oftmals in musikalischen Motiven. Etwa im Call-and-Response-System. Das gibt gleich eine übersichtliche Struktur, die durch ihre Einfachheit glänzt.
Knowledge-Bomb: Was ist das Call-and-Response-System
Dabei handelt es sich um die direkte Abfolge von zwei ähnlichen melodischen Motiven, bei dem das zweite Vorkommnis aufgrund seiner tonalen Struktur wie eine musikalische Antwort auf das erste Vorkommnis wirkt. Vergleichbar, wie man in der Sprache bei Fragen gegen Satzende die Tonhöhe anhebt und bei der darauffolgenden Antwort am Satzende die Stimme absenkt.
Emi: Voll gut. Ich finde, dass Einfachheit insgesamt ein ganz toller Hebel für gute Songs ist. Liedschreiber, die es schaffen, viele einfache Teile kunstvoll aneinanderzureihen, erzeugen ohnehin dennoch ein komplexes Ergebnis.
Ich muss dabei an einen gewebten Teppich denken. Jeder einzelne Faden darin beschreibt einen einfachen Kurvenverlauf. Viele derartige einfache Verläufe von unzähligen Fäden sorgen aber für wunderschöne Teppiche, die zwar im Detail zwar einfach sind, aber dennoch ein tolles, komplexes Kunstwerk darstellen.
Die einzige Ausnahme, also wann ein einzelnes komplexes Element im Songwriting und in der Musik insgesamt Sinn macht ist, wenn der musikalische Fokus auch tatsächlich darauf liegt. Ein Beispiel hierfür wäre der Text einer gerappten Strophe. Darf ruhig superkomplex sein. Darum geht es in diesem Fall ja auch.
Es muss aber eben nicht kompliziert sein. Bei erfolgreichen Songs ist sehr offensichtlich erkennbar, dass etwa einfachste Akkordfolgen einfach funktionieren.
“1. Stufe, 4. Stufe, 6. Stufe, 5. Stufe und 1.Stufe … und du bist im Game!”
Fabian: Vor allem funktioniert auch das menschliche Gehör und die menschliche Aufmerksamkeit genau so. Wir lieben Wiederholung. Das macht alles viel nachvollziehbarer und zieht uns in den Bann eines Songs. Vielleicht sogar drei Mal genau das gleiche Muster wiedeholen, um bei der vierten Wiederholung bewusst damit zu brechen. So etwas funktioniert seit jeher und wird immer funktionieren.
Emi: Well… Ich würde sagen, dass ist eine sehr feine Umspannung des Themas. Gibt es einen finalen Tipp für die Leser dieses Blogs zum Schreiben von besseren ersten Strophen?
Fabian: 50% weniger schreiben, als sie tun.
Emi: Love it.
Fabian: Same.
Fabian Mägel
Songwriting Coach
Nach einer ausgiebigen Zeit als Straßenmusiker, haben Fabians Songs ihn in etablierte Tonstudios und in ausverkaufte Clubs in Deutschland geführt.
Dabei konnte er sich immer wieder davon überzeugen, dass gute Lieder nicht nur finanziell verwertbar sind, sondern auch eine wunderschöne Sache als kreatives Tool an sich sind.
Entscheiden sei aber, wie die eigenen Werke beginnen, denn nur Songs mit einem starken Anfang ziehen Zuhörer und zukünftige Fans derart in den Bann, dass diese auch wirklich weiter hören wollen.
Wie das im Detail funktioniert, lehrt Fabian seit einiger Zeit seine internationalen Songwriting-Coachees!